Platte des Monats Oktober 2015
DIE NERVEN - Out [Glitterhouse]
"Neuer Deutscher Post-Punk"? DIE NERVEN gelten als Vorreiter einer neuen Szene. Wollen sie das sein? Egal. Sind sie das? Solange sie solche Alben aufnehmen, ja!
Gibt es eine neue Post-Punk Szene in Deutschland? Ja! Schaut man sich die Vielzahl neuer junger Bands an, die sich vermehrt dem Sound verschreiben, der sich Ende der 70er Jahre in England aus dem Punk heraus entwickelt hat. Bands wie Messer, Karies, Love A, Yachten, Friends Of Gas oder vielleicht auch noch Trümmer (trotz unüberhörbarem Pop-Appeal) bedienen sich dem Genre, dessen bekanntestes Gesicht wohl der verstorbene Ian Curtis ist. Dabei ist die musikalische Definition von Post-Punk so greifbar wie die Luft, die wir atmen, denn aus dem Punk heraus hat sich so einiges entwickelt: New Wave, Dark Wave, No Wave und auch das, was wir heute Indie oder Alternative nennen.
Post-Punk, wie er sein sollte
Der Post-Punk den DIE NERVEN auf ihrem mittlerweile schon dritten Studioalbum „Out“ verkörpern, hat mit dem Punk mehr zu tun als viele andere Bands, die im Zuge dieser Strömungen entstanden sind. Musikalisch zumindest. Rau, laut, mit Attitüde aber auch durchdacht, mit System und Raum für Poesie. Der „neue deutsche Post-Punk“ schwimmt sich frei davon, politisch sein zu müssen. Der Kunstaspekt rückt in den Vordergrund. Die Texte müssen keine klaren Statements darstellen, sie können Fragmente bleiben.
DIE NERVEN stehen wie kaum eine andere Band ihrer Zunft für diese „Szene“ oder „Bewegung“. Warum wissen sie wahrscheinlich selber nicht. Sie sind nicht die Ersten, werden aber auch nicht die Letzten sein. Jede Szene braucht auch die Galleonsfiguren, die Bands fürs Magazin Cover, an denen wir Journalisten uns aufhängen können. DIE NERVEN werden in diese Rolle gepresst, gedrückt, geschrieben und sie sollten diese Rolle annehmen.
Nicht zuletzt nach dem Gewinn des Indie-Awards als „Bester Act", könnte man als Fan der NERVEN Angst um die dritte Platte der drei Stuttgarter, „Out“, gehabt haben. Geht Erfolg und ein höherer Bekanntheitsgrad doch oft mit einer Anpassung des Sounds an den Mainstream einher. Keine Panik, DIE NERVEN sind sich auch auf ihrem dritten Album weitestgehend treu geblieben - mit einer Ausnahme, sie haben gelernt sich mehr Zeit zu nehmen. Vielleicht ist das die beste Antwort auf den schnellen Erfolg: Entschleunigung.
Zeit, sich Zeit zu lassen
Die Band lässt sich und dem Hörer mehr Zeit zum Durchatmen. Die erste Single „Barfuss durch die Scherben“ bleibt bis kurz vor Schluss ein NERVEN-untypischer Midtempo Song, ehe dann doch der erwartete, krachige Ausbruch kommt. Auch bei anderen Songs spielt die Band mit Erwartungen. Das paranoide „iPhone“ zum Beispiel beginnt mit einer angstschweißverursachenden, treibenden Bassline und hektischen, fast schon schiefen Gitarrenparts, ehe der Song im selben Moment die ruhigste und zurückhaltendste Phase des Albums einläutet. „Wüste“ ist im Nervenkosmos schon fast eine kleine Ballade geworden, mit verzerrter Gitarre versteht sich und „Ich habe gelogen“ weist eine überraschend klare Akkordstruktur auf. DIE NERVEN sind (noch) unberechenbarer geworden und das ist es auch was „Out“, neben dem perfekten Zusammenspiel von Schlagzeug, Bass und Gitarre, auszeichnet.
Den Gesang teilen sich wie gewohnt Gitarrist Max Rieger und Bassist Julian Knoth, Kevin Kuhn hält das Ganze mit seinem Schlagzeug zusammen. Die Texte sind weitestgehend Fragmente, DIE NERVEN erzählen keine Geschichten, ihre Ausdrucksweise ist oft kryptisch, teilweise dunkel, psychologisch, paranoid und pessimistisch, manchmal sogar verstörend, aber nie verkopft oder plakativ.
Mit „OUT“ haben DIE NERVEN ihr bislang bestes Album aufgenommen. Weil es als Ganzes funktioniert. Weil jeder Song, jede Zeile, jeder Part ineinander greift. Weil die Balance aus Krach und Zurückhaltung perfekt ist. Die Platte des Monats Oktober geht an euch liebe NERVEN. Das ist eure Bühne, nun schlagt sie kurz und klein. Eure Szene wird es euch danken. Und wir auch.
"OUT" von DIE NERVEN erscheint am 9. Oktober bei Glitterhouse Records.